Weltweite Wertschöpfungsnetzwerke, Strategiegespräche am virtuellen Lagerfeuer und Chefs auf dem Jakobsweg
Wir beamen uns heute ins Jahr 2030. Die Chinesen haben die Perlen der deutschen Mittelständler aufgekauft und die ‚Heuschrecken‘ das Ganze in gewinnbringende Teile zerlegt. Familienunternehmen, einst Rückgrat der deutschen Wirtschaft, haben zu kämpfen: Digitalisierung, Globalisierung, Gleichberechtigung und demografischer Wandel stellen Platzhirsche und Patriarchen auf die Probe. Der gesellschaftliche Wandel hat sich auch auf große Familienunternehmen ausgewirkt.
Welches sind die entscheidenden Einflussfaktoren, die den Alltag dieser Betriebe beeinflussen? Was bedeuten die Veränderungen für deren Fortbestand? Erstmals haben Prof. Dr. Birgit Felden, Direktorin des Instituts für Entrepreneurship, Mittelstand und Familienunternehmen (EMF-Institut), sowie die Wissenschaftler Mira Schirrmeister und Michael Schönmoser einen Blick in mögliche Zukünfte geworfen. Als ein Ergebnis präsentiert die 2018 veröffentlichte Studie „Familie – Unternehmen – Zukunft“ drei Szenarien für das Jahr 2030: Starke Stars (Newsletter 1), Nüchterne Netzwerk-Strategen (Newsletter 2), Abgeschlagene Aussteiger (Newsletter 3).
SZENARIO 1: STARKE STARS
Viele Hidden Champions haben sich aus der Deckung gewagt. Ihr Firmenmotto: Sei erfolgreich und rede darüber! Medienscheue Macher ade. Schweigen und in der Pampa erfolgreich sein, gilt längst nicht mehr als die Strategie der Stunde. Familienunternehmen bewegen sich geschmeidig und öffentlichkeitswirksam in einer dezentralen, flexiblen, globalisierten Arbeitswelt. Innovativ und offensiv powert die Provinz mit weiteren Stärken: intakter Natur, sauberer Luft, weniger Staus und abwechslungsreichem Freizeitangebot.
Auf der Suche nach Spitzenleistungen wird rund um den Globus und rund um die Uhr Wert geschöpft. Tagsüber in Duderstadt, Künzelsau oder Heroldsberg, vor Schichtbeginn in Bangalore oder Tel Aviv, den Silicon Valleys Asiens, und nach Feierabend bei den amerikanischen Digitalisierungsprofis. „Kinder statt Inder“, an plumpe Polit-Parolen zur Jahrtausendwende, haben weitsichtige Unternehmer ohnehin nie geglaubt.
Der omnipräsente Patriarch hat abgedankt. Vertrauen ist gut, stete Kontrolle nicht nötig: Das hat auch er erkannt. An den zentralen Knotenpunkten globaler Wertschöpfungs-netzwerke ziehen Familienmitglieder die Fäden. Vor Ort in der Fabrik, bei der Vertriebstochter oder beim Lieferanten fällen sie Entscheidungen – autark, an lokale Märkte angepasst und im Sinne des Unternehmens. Beim regelmäßigen virtuellen Abendbrot kommt auf den Tisch, was den Betrieb bewegt. Jeder Gesellschafter füllt seine Rolle aus: versiert, engagiert, motiviert. Alphatiere sind nicht gefragt. So gelingt die Fernbeziehung.
Statt mit „Work&Travel“ die Berufsfindung hinauszuzögern, setzen die Unternehmerkids auf „Work at home & Travel abroad“, schnuppern schon während Schule und Studium Firmenluft. Die Alten können auf die Jungen zählen. Auch das entscheidet neben Produkt und Preis über den Fortbestand traditionsreicher Firmen.
Unternehmen Zukunft: Wo steuern wir hin? Das diskutieren nicht einige wenige Gesellschafter im Elfenbeinturm, sondern Alt und Jung regelmäßig am virtuellen Lagerfeuer. Um Zoff in den immer größer werdenden Familien zu vermeiden, hat man Spielregeln festgelegt. Entscheidungen fallen klar und transparent.
Frauen sind aus der Rolle gefallen. Statt nur die Arbeit machen sie von sich reden. Das klappt auch ohne Quote. Die gläserne Decke hat Mann nicht verteidigen können. Empathisch, kommunikativ, super Netzwerker: Frau punktet, wo Mann schwächelt. Frau redet, Mann hört hin. Mit soft skills an die Spitze: Typisch weibliche Kompetenzen sind im Wert deutlich gestiegen. Gleichberechtigung ist kein Thema mehr. Dass Oma einst Opa fragen musste, ob sie arbeiten dürfe, darüber lachen sich die Kids kaputt.
Wenn zwei arbeiten und auch das Leben genießen wollen, freuen sich die Kinder. Zwei Einkommen machen unabhängig. Schuften bis zum Burnout – das war einmal. Work hard, play hard: Auch viele Chefs halten sich für entbehrlich und sagen tschüss: Ich bin dann mal weg, etwa auf dem Jakobsweg, im Zen-Kloster oder auf Study-Tour in den neuen Silicon-Valleys Asiens.
Damit zusammenbleibt, was zusammengehört, bringt ein Chief Social Officer (CSO) kreative und soziale Themen voran. Roboter und Algorithmen leisten zwar gute Arbeit und haben den Menschen viele Aufgaben abgenommen. Kognitive Computersysteme hören zu, sprechen, denken und lernen. Aber fühlen, vermitteln, motivieren, Netzwerke pflegen – das alles können sie noch nicht.
Seit Facebook, Instagram, Snapchat & Co. genau wissen, wer wen wo und wann trifft, ob der Urlaub spitze oder bescheiden war, wer was wie findet, wurde das Privat aus Sphäre gelöscht. So viel Transparenz macht süchtig. Was der User vorlebt, sollen die Unternehmen nachmachen. Es wird Klarheit über soziale und ökologische Nachhaltigkeit gefordert. Fakten lösen deshalb inhaltsleere PR-Reports ab. Familienunternehmen, die sich gern verschwiegen gaben und erst recht mit Zahlen zauderten, sind gläserne Gebilde geworden.
Wissen war Macht. Wissen macht nichts mehr. Und braucht deshalb keinen Transfer. Anders das implizite Wissen. Wer etwas kann, ohne sagen zu können, wie – dem schenken kluge Unternehmen Aufmerksamkeit. Denn da ist ein Schatz verborgen, den kein Roboter und kein Algorithmus finden kann.
Familienunternehmen haben sich im Jahr 2030 von Hidden Champions zu starken Stars gewandelt. In der dezentralen, flexiblen, globalisierten Arbeitswelt sind viele von ihnen Vorreiter und deshalb Vorbilder.
FAKTEN FAKTEN FAKTEN
Erstaunlich: Knapp 50 Familienunternehmen, die mindestens 200 Jahre durchgängig im Mehrheitsbesitz der Gründerfamilie sind und von Nachkommen des Gründers geführt werden, haben sich in der Association les Hénokiens (http://www.henokiens.com) zusammengeschlossen, darunter mehrere deutsche Unternehmen. Ältestes Mitglied ist das japanische Gasthaus (Ryokan) Hoshi, 718 gegründet, seit 46 Generationen im Familienbesitz.
Erschreckend: Zwischen 2020 und 2030 werden rund vier Millionen Personen im erwerbsfähigen Alter wegfallen, so das Statistische Bundesamt. Die Suche nach qualifiziertem Personal wird vor allem im ländlichen Raum schwierig. Und dort sitzen viele Familienunternehmen.
Erfreulich: Infolge von Internationalisierung und Globalisierung werden Teams zunehmend multikulturell zusammengesetzt.
STARKE WORTE
„Ich denke einfach, was auf uns zukommt als Familienunternehmen ist generell das globalere Denken. […] Also früher, da war es vielleicht so, wir sind nach Afrika gefahren. Was wollte der Afrikaner sehen? Der wollte einen dicken, deutschen Weißen mit Schnurrbart haben. Und der stand dann für deutsche Qualität, für deutsche Produkte und der hat dann sein deutsches Produkt da verkauft und alle waren happy. Und das ist, glaube ich, heute nicht mehr so. In China müssen Sie anders handeln, da müssen Sie Produkte anbieten, die auf den chinesischen Markt zugeschnitten sind. Die Inder denken wiederum völlig anders. Da müssen Sie indisch verkaufen. Sie müssen indische Produkte anbieten.“
(Quelle: Unternehmerinterviews zur Studie „Familie – Unternehmen – Zukunft“)
FIKTION 2030 – KOMMUNIKATION 5.0
Im Jahr 2030 haben die Mitarbeiter der Familienunternehmen kein Smartphone mehr. Wegen massiver Rückenschäden hat sich die Generation HD (Head Down) Handy-Implantate in die Hand einsetzen lassen. Per Sprachbefehl rufen sie an, laden in den virtuellen Konferenzraum ein oder steuern die Roboter in der Fabrik.
FIKTION 2030 – DIE SCHÖNSTEN WOCHEN DES JAHRES
Jules Vernes 1873 veröffentlichter Roman „In 80 Tagen um die Welt“ ist bei Kindern ein Klassiker. Mehr Retro geht nicht. Mit ihren Eltern sausen die Kids der Familienunternehmer im Jahr 2030 auf Luftkissen mit bis zu 1200 Stundenkilometern durch Hyperloops in den Urlaub. Der Pass steckt als Chip im Oberarm, Im Hotel erkennen Sensoren Gesichter: Roboter bringen automatisch zur Begrüßung das Lieblingsgetränk, buchen Rechnungsbeträge vom Konto, setzen im Hotelzimmer die Lieblingsserie fort. In künstlichen Unterwasserwelten scheint stets die Sonne.
TOTAL DIGITAL
Wer als Familienunternehmen auf Digitalisierung setzt, braucht in jedem Fall, „ein starkes, junges, kompetentes Familienmitglied im Management”.
(Quelle: Unternehmerinterviews zur Studie „Familie – Unternehmen – Zukunft“)
2030: WAS FAMILIENUNTERNEHMEN BEWEGT
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